Denn bei dir ist die Quelle
des Lebens, und in deinem
Licht sehen wir das Licht.
Psalm 36, 10
Reformation im städtischen Alltag
PREDIGER UND BÜRGER
Auszüge aus den Texten der Ausstellung zum Luther-Jahr 2017 — 500 Jahre Reformation
Autor der Ausstellungstexte: Felix Engel
Die Brücker St. Lambertuskirche
Anders als in vielen weiteren sächsischen und brandenburgischen Städten ist von der Stadtkirche in Brück, wie sie die Einführung der Reformation erlebte, nicht mehr viel übrig. Die Brücker St. Lambertuskirche wurde mehrfach vernichtet und wieder aufgebaut, war zahlreichen Umbauten und Restaurierungen unterworfen. Zerstört wurde sie 1547 im Schmalkaldischen Krieg von den Spaniern sowie 1635 im Dreißigjährigen Krieg von den Schweden. 1764 fiel sie einem Stadtbrand zum Opfer. Die heutige Kirche wurde am 30. Juni 1776 eingeweiht und der Grundstein für den neuen Turm am 9. März 1842 gelegt. Mannigfaltige Erneuerungen fanden im 20. Jahrhundert statt. Nicht verändert hat sich ihr Name, der vom frühmittelalterlichen niederländischen Bischof und Heiligen Lambertus herrührt, welcher sich der Heidenbekehrung gewidmet hatte und eines gewaltsamen Todes gestorben war. Die Benennung der Kirche, die ihren Ursprung im 12. Jahrhundert hat und 1575 bestätigt wurde, deutet wie auch der Name der Stadt auf die niederländische Herkunft der Stadtgründer hin.
Das der Kirche gegenüberliegende Pfarrhaus (Straße des Friedens 35) wurde beim Stadtbrand von 1764 ebenfalls ein Opfer der Flammen, sodass das heutige Gebäude aus dem 18. Jahrhundert stammt.
Die Brücker Kirchenvisitationen –
Kontrolle des religiösen Lebens
Spätestens 1530 war Brück »lutherisch«. Denn in diesem Jahre wurde hier die erste Kirchenvisitation durch Beauftragte des sächsischen Kurfürsten durchgeführt, um das neue Gemeindeleben zu prüfen und zu ordnen. Die überlieferten Protokolle sind einzigartige und auch parteiische Zeugnisse des religiösen Lebens in der Stadt.
Anlässlich der Visitation vom 17. Januar 1530 war Martin Luther in Brück zu Gast und predigte dabei wahrscheinlich in der St. Lambertuskirche. Der örtliche Pfarrer, dessen Name nicht überliefert ist, genügte den Ansprüchen der Visitatoren nicht und nahm freiwillig seinen Abschied. In einer Schelte Luthers über diesen Brücker Pfarrer heißt es: »Werden sie [die geizigen Pfarrherrn] reich, so taugen sie nicht, verlassen ihre Dienst und Amt, wie zu Niemeck und Bruck geschehen von denen, so nu waren reich worden und hatten sich begraset und fett gemästet.« Clemens Ursinus wurde als neuer Pfarrer eingesetzt.
Der Wechsel zur lutherischen Lehre wirkte sich vielfach auf den Alltag der Menschen aus, wie die Bestimmungen der Visitatoren dokumentieren. Das religiöse Leben wurde neu geordnet. Der Pfarrer sollte nicht nur alle Bürger zum Mitwirken anhalten, sondern die Kranken im Belziger Hospital oder daheim besuchen, die Gemeinde zum Zusammenhalt auffordern und die Eltern dazu bewegen, ihre Kinder anständig zu erziehen und in die Schule zu schicken. Außerdem müsse sich der Pfarrer jeder ungebührlichen Handlung enthalten, beispielsweise dem Bierausschank.
Ein »Gemeiner Kasten« wurde eingerichtet. Diese Kasse besaß für die Gemeinde und die neue Kirchenverfassung große Bedeutung. Aus ihr sollten Arme und Kranke versorgt, die Kirche, Pfarr- und Schulgebäude erhalten sowie kleine Kredite an angehende Handwerker vergeben werden. Finanziert wurde der Gemeine Kasten aus allen anfallenden Kircheneinkünften, geistlichen Besitztümern und Spenden. Sogar in die Gerichtsbarkeit wurde eingegriffen: »Rath und Gerichte szollenn Mussigang, stete Seufferey unnd ander Laster mit Fleiß straffenn.«
Dem Schulwesen kam aufgrund seiner Funktion für die Verbreitung der lutherischen Lehre eine besondere Rolle zu. In Brück waren bereits ein Schulmeister, Fabian Krieschew, und sein Helfer vorhanden, deren Besoldung neu geregelt wurde. Der Unterrichtsstoff wurden ebenfalls vorgeschrieben: In drei Klassenstufen lernten die Schüler Religion, Musik, Deutsch und Latein. Die Mädchen sollten ebenso in Lesen, Schreiben und Religion unterwiesen werden.
Als 1534 ein weiterer Kontrollbesuch anstand, waren in der Stadt keine größeren Missstände aufzufinden: »Der Pfarrer ist an Lehr und Leben untadelhafftig.« Clemens Ursinus scheint aber die Bestimmungen von 1530 wohl zu streng ausgeführt zu haben und stieß dadurch auf Widerspruch seitens der Stadtbürger, die sich bei den Visitatoren beschwerten. In der Strafpredigt hatte der Pfarrer die Gemeindemitglieder mitunter viel zu offensichtlich gescholten, und er stattete auch den Kranken jeden Tag einen Besuch ab. Daher versuchten die Visitatoren 1534 etwas mäßigend auf seinen Diensteifer einzuwirken. Doch auch Ursinus klagte über die Brücker, dass sie ihre Äcker umzäunen und so zu Gärten machen würden, auf die sie keine kirchlichen Abgaben zahlen müssten. Daher bestimmten die Visitatoren, dass auch auf Gärten die Abgaben zu entrichten seien.
Das Leben und Wirken Michael Stifels
Der wohl berühmteste Brücker Pfarrer der Reformationszeit war der Reformator, Mathematiker und Apokalyptiker Michael Stifel. Er bekannte sich als einer der frühesten Anhänger zur Theologie Martin Luthers. 1487 in Esslingen am Neckar geboren, musste Stifel 1522 aus dem Kloster seiner Heimatstadt fliehen, da er in einer Streitschrift für die lutherische Sache Partei ergriffen hatte. Sein Weg führte ihn zu Martin Luther nach Wittenberg, wo er zu dessen engem Freund wurde. Alsbald erhielt Stifel die Stelle des Hofpredigers beim Grafen Albrecht von Mansfeld und ging 1524/25 als einer der ersten evangelischen Prediger nach Österreich – ein schwieriges Betätigungsfeld für einen überzeugten Lutheraner, denn die dort regierenden Habsburger standen dem reformatorischen Gedankengut äußerst ablehnend gegenüber.
1528 übernahm Stifel die Pfarrstelle in Lochau, dem heutigen Annaburg bei Wittenberg. Dort heiratete er auf Vermittlung Luthers die Pfarrwitwe Günther, die zwei Kinder mit in die Ehe brachte. In Lochau sagte er auch den Weltuntergang für den 19. Oktober 1533 voraus. Als diese Aufsehen erregende Ansage nicht eintrat, wurde Stifel gefangen gesetzt und zeigte sich reumütig. Zum wiederholten Male nahm ihn Luther auf und beschaffte ihm eine neue Pfarre im nahen Holzdorf.
Diese Beschäftigung als Pfarrer füllte ihn nicht vollständig aus, sodass er sich 1541 an der Universität Wittenberg einschrieb und 1544 die Arithmetica integra, ein Standardwerk der Mathematik, verfasste.
Nachdem der Schmalkaldische Krieg 1547 für die Protestanten verloren gegangen war, setzte sich Stifel ins Herzogtum Preußen ab, das außerhalb der Reichsgrenzen lag. Hier betätigte er sich verschiedenenorts als Pfarrer und trieb mathematische Studien. Darüber hinaus nahm Stifel regen Anteil an den zwischen lutherischen Theologen aufbrechenden Streitigkeiten, die nach dem Tode des Reformators um die richtige Interpretation seiner Lehre mit bis dahin beispielloser Vehemenz ausgetragen wurden. Um dem Einfluss des Andreas Osiander zu entgehen, verließ er Preußen und kehrte nach Sachsen zurück.
Dort wurde Stifel 1554 in Brück als Pfarrer eingesetzt. Er beteiligte sich fortwährend an den theologischen Auseinandersetzungen und fand sich auf der Seite der Gnesiolutheraner um Matthias Flacius wieder, die einen besonders kompromisslosen Kurs in der Bewahrung des lutherischen Erbes verfolgten. 1558 wurde Stifel als Professor an die Hochschule in Jena berufen, wo er mit seinem ehemaligen Verbündeten Flacius aber in Streit geriet. Michael Stifels bewegtes Leben endete schließlich am 19. April 1567.
Der »gescheiterte« Weltuntergang vom 19. Oktober 1533
Michael Stifel war wie alle führenden Reformatoren seiner Zeit der festen Überzeugung, dass der Untergang der Welt unmittelbar bevorstünde. Doch im Gegensatz zu Martin Luther, für den das genaue Datum des Weltendes völlig unerheblich war, da der gute Christ zu jeder Zeit dafür gerüstet sein müsse, wollte Stifel Gewissheit haben.
Als Mathematiker und Theologe hatte Stifel eine Vorliebe für Wortrechnungen, wie sie bereits seit der Antike gepflegt worden waren. Im 1532 erschienenen Druck Rechenbüchlin vom End Christ. Apocalypsis in Apocalypsim entwickelte er die Methode weiter, sodass sie einen neuen Grad der Verwissenschaftlichung erreichte. Die Idee dahinter war, den Buchstaben von Bibelzitaten, Namen oder Phrasen geeignete Zahlenwerte zuzuordnen und diese dann zu addieren. So könnten versteckte Geheimnisse entschlüsselt und sichtbar gemacht werden. Es genügte Stifel aber nicht, den 23 Buchstaben des lateinischen Alphabets die Zahlen 1 bis 23 zuzuweisen – die entstehenden Summen wären für sein Vorhaben zu klein gewesen. Er belegte die Buchstaben nun mit den fortlaufenden Dreieckszahlen, sodass beispielsweise Cessatio papatus (Ende des Papsttums) die Zahl 1517 ergab – die Zahl des Jahres, in dem Luther seine 95 Thesen gegen den Ablass veröffentlicht hatte. Für Stifel war die Mathematik in diesem Zusammenhang ganz offensichtlich ein Mittel, um gegen das Papsttum zu Felde zu ziehen sowie das Nahen der Apokalypse zu belegen.
Besondere Berühmtheit erlangte Stifel mit seiner Vorhersage als Lochauer Pfarrer, dass die Welt am 19. Oktober 1533, um 8 Uhr morgens untergehen würde. Wie er auf dieses präzise Datum kam, ist heutzutage nicht mehr nachzuvollziehen – nie hat er darüber Rechenschaft abgelegt. Martin Luther und Philipp Melanchthon wollten ihn von seiner Vorhersage abbringen, doch all ihr Zureden blieb vergebens. Die Lochauer bereiteten sich unter den Augen vieler angereister Schaulustiger auf den Weltuntergang vor. Stifel nahm ihnen die Beichte ab, hielt eine eindringliche Predigt und teilte das Abendmahl aus. Aber die Welt bestand fort, und der nunmehr seines Amtes enthobene Pfarrer wurde von Beamten des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich I. nach Wittenberg gebracht. Der Kurfürst zeigte sich sehr erbost über den Schaden, den Stifel dem Ansehen Sachsens und der Reformation zugefügt hätte. Da sich der Apokalyptiker aber reumütig gab und zerknirscht seinen Fehler einsah, setzte sich Luther für ihn ein und ersparte ihm eine empfindliche Strafe.
Heute ziert eine Brunnenskulptur des Michael Stifel, der von angstvollen Gestalten umgeben predigend auf der zerberstenden Weltkugel steht, den Annaburger, ehemals Lochauer Marktplatz.
Michael Stifel – ein Pfarrer zu Brück
Als Michael Stifel 1554 aus dem Herzogtum Preußen nach Kursachsen zurückkehrte, wurde ihm die Pfarre in Brück zugewiesen, und schon bald erlangte er das Wohlwollen und die Verehrung der Brücker Gemeinde. 1555 weilten die Visitatoren einmal wieder in der Stadt. Ihnen gegenüber stellten die Gemeindemitglieder ihrem mittlerweile 68-jährigen Seelsorger ein »gut gezeugnis« aus. Im Protokoll ist vermerkt: Stifel hätte »bißher trewlich gelehret«, und seine Pfarrkinder würden ihn wegen seiner Frömmigkeit lieben. Außerdem kommen die Visitatoren zu einer insgesamt positiven Einschätzung des kirchlichen Lebens in Brück, weil »do ein feine, gevölgige, arbeitsame Burgerschaft ist, die sich zu Gottes Wort vleissig helt und ihre Kirchendiener in Ehren hatt«. Auch heißt es, dass »die Burger Lust haben, ihre Kinder zur Schulen zu halten«.
Es kam selten vor, dass Gemeinde und Pfarrer so gut miteinander harmonierten, und Stifel schwärmte auch seinerseits von Brück. 1555 schilderte er das Brücker Pfarrhaus: »Und auff der ander Seyten dess Hauses sind zwen lustige und nutzliche Garten, geht man auss einem jn den andern durch das Hauss. Einer jst ein Baumgart und Wurtzgart. Der ander jst ein sehr langer Hopffgart. Darinnen zu spaciren jst wie jn einem Paradis, das, so offt ich darinne spacir, gedenck jch: wenn Doctor Morlin hie were, da würde er ander lust haben zu spaciren denn zum Haberstro. … Sitz offt lang fur der Haussthür und hab Lust an dem schönen geblümten Gras.«
Offensichtlich fühlte sich Michael Stifel in Brück sehr wohl. Dennoch blieb er nur für kurze Zeit in der Stadt zwischen Zauche und Hohem Fläming. Hatte er seine Pfarrstelle damals auf Vermittlung Philipp Melanchthons antreten können, bezog er gleichwohl in den theologischen Streitigkeiten jener Zeit Stellung gegen seinen ehemaligen Förderer. Nach dem Tod Martin Luthers sah Stifel die Reinheit der evangelischen Lehre ausgerechnet durch die kompromisswilligen und friedfertigen Wittenberger Professoren bedroht. Deshalb verließ er Kursachsen und damit sein Brücker Wirkungsfeld 1558 nach vierjähriger Dienstzeit, um an der Jenaer Hochschule, wo sich um Matthias Flacius die Gnesiolutheraner sammelten, eine Professur für Mathematik zu übernehmen.
Gregor Heinse
alias Gregor von Brück –
Der Jurist der Reformation
Der wohl bedeutendste Sohn der Stadt Brück ist Gregor Heinse, der sich später Gregor (von) Brück nennen sollte. Er stammte aus einer wohlhabenden und gelehrten Familie. Bereits sein Vater Georgius Heinse, ein Bürgermeister von Brück, hatte früh Kontakt zur neuen Lehre Martin Luthers, dessen Vorlesungen an der Universität Wittenberg er noch im hohen Alter besuchte.
Gregor Brück wurde wohl Mitte der 1480er Jahre geboren. Der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise ernannte ihn 1519 zu seinem Kanzler. In dieser Funktion beriet er Luther 1521 auf dem Reichstag zu Worms. In der Folgezeit wirkte er als persönlicher Berater der Kurfürsten und neben Luther und Melanchthon, dem weiteren bedeutenden Reformator, als Visitator zur Überprüfung der kirchlichen Zustände in Sachsen. Damit nahm Gregor Brück eine Schlüsselposition für den Verlauf der frühen Reformation ein. Luther bezeichnete ihn einmal als »den einzigen guten Christen unter den Juristen«.
Ein Höhepunkt seiner Karriere und Hauptgrund seiner reichsweiten Bekanntheit war seine Rolle beim Reichstag zu Augsburg 1530, zu dem er im Auftrag des sächsischen Kurfürsten Johann des Beständigen reiste. Dort verfolgte Kaiser Karl V. einen Plan zur Wiederherstellung der Einheit des abendländischen Christentums. Doch von ihrer Lehre wollten die Lutheraner nicht ablassen. Brück überreichte dem Kaiser öffentlichkeitswirksam die lateinische Fassung des Augsburger Bekenntnisses (lat. Confessio Augustana), einer zentralen evangelischen Glaubensschrift.
1531 wurde der Schmalkaldische Bund, ein protestantisches Schutzbündnis, gegründet, an dem Gregor Brück ebenfalls mitwirkte. Der Schmalkaldische Krieg (1546/47) wurde dann für den ehemaligen Kanzler und Kurfürstenberater eine Zäsur. Da die Schmalkaldener Bundesgenossen den Krieg gegen den Kaiser und seine Verbündeten verloren hatten, wechselte die sächsische Kurwürde von der ernestinischen an die albertinische Linie der Wettiner. Brück ging mit den ernestinischen Fürsten nach Weimar und betrieb von dort aus die Gründung der Jenaer Hochschule. Schließlich war auch Wittenberg mit seiner Universität an die Albertiner gefallen. Brück lehrte ab 1548 in Jena als Professor. Doch er setzte sich bald zur Ruhe und starb am 15. Februar 1557.