Denn bei dir ist die Quelle
des Lebens, und in deinem
Licht sehen wir das Licht.
Psalm 36, 10
Ich habe Bock, mich hier einzubringen – wenn man mir die Chance dazu gibt
Brück/Erkner Offizielle Statistiken zufolge sind es gerade einmal 4% der Asylbewerber, die nach Anerkennung ihres Aufenthaltsstatus sofort eine Arbeit aufnehmen können. Doch genau dieser Herausforderung will sich der 33-jährige Syrer Mohamed Abdelhai aus dem umgekämpften Aleppo unbedingt stellen. Der Mann hat gerade erst seinen Aufenthaltstitel für 3 Jahre bekommen und ist derzeit einer der Asylbewerber aus Brück/Landkreis Potsdam-Mittelmark). Nach seiner Odyssee quer durch Europa landete er im Spätsommer zunächst in der Eisenhüttenstädter ZAST, der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber in Brandenburg.
Bereits mit 13 Jahren hatte Abdelhai seine Zimmermannslehre angefangen, verfügt also über eine mehr als 30-jährige Berufserfahrung. An seinen fachlichen Kenntnissen zweifelt in Gömnigks Alter Mühle/ Umsonstladen nun wirklich niemand. Jeden Tag zwischen 8 Uhr und dem Eintritt der Dunkelheit kann man ihn seit Wochen dort antreffen. Und das keineswegs zufällig. Ein alter Bauwagen wird von dem beinahe schüchtern wirkenden Syrer mit großem handwerklichen Geschick zu neuem Leben erweckt. Für beide Seiten eine klassische win/win-Situation: Die Syrer fühlen sich in der Alten Mühle höchst willkommen – können aber ihren Dank auch wieder in geeigneter Weise zurück geben. Hier würden sich zwei grundsätzlich verschiedene Kulturen begegnen und gegenseitig bereichern. Politikwissenschaftler und Mühlen-Bewohner Gregor Hamann (30): „Hier sind binnen kürzester Zeit echte Freundschaften entstanden. Unsere Hilfe rund um den Umsonstladen wird sehr dankbar angenommen und so oft es irgend geht, auch erwidert. Allerdings legen wir größten Wert darauf, dass unsere Türen auch für einheimische Bedürftige offen stehen.“
„Wir haben ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Ausländern gemacht!“
Neuerdings hat der Syrer Abdelhai die weitaus dicksten Bretter aber keineswegs in Gömnigk, sondern an ganz anderer Stelle zu bohren. Die Initiative „Brück hilft“ hat ihn zu seinem potenziellen neuen Arbeitgeber nach Erkner begleitet. Ausgerechnet auf jene Firma, die 2002 maßgeblich am Ausbau der syrischen Botschaft in Berlin involviert war, ruhen jetzt alle Hoffnungen des Flüchtlings. Geschäftsführer Gert Dittrich der gleichnamigen Tischlerei: „Wir haben 30 Mitarbeiter, darunter auch Kenianer und Portugiesen. Ich gebe zu, dass wir ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Ausländern gemacht haben. Nur eines kann ich vorweg schon einmal sagen – die Kenntnis der deutschen Sprache ist hier das A und O.“ Abdelhai spricht aber kaum deutsch und auch nur sehr bruchstückhaft englisch. Nicht ohne Grund hat ihn sein Landsmann und Freund Mohanad Dakkak (22) mit nach Erkner begleitet um zumindest aus dem englischen in seine Landessprache zu übersetzen. Letzterer war Student in Istanbul und studierte dort englische Literatur.
Ansonsten zeigte sich der Chef an der personellen Verstärkung aus Brück durchaus interessiert. Immerhin habe man große Schwierigkeiten Auszubildende zu finden. Doch jenseits des Sprachdefizits, welches jetzt vordringlich in einer Art Crashkurs geklärt werden müsste, tut sich für den Syrer noch eine andere Hürde auf. Gegenwärtig arbeitet er auf Probe in Erkner. Davon ist zunächst jegliches weitere Engagement der Tischlerei zugunsten des „potenziell Neuen“ abhängig. Mehrfach betonte Mohamed Abdelhai, dass er zu Hause an sehr viel größeren Maschinen gearbeitet habe, als ihm jetzt in Gömnigk zur Verfügung stehen. Das ist freilich mit dem professionellen Equipment in der Tischlerei in Erkner nicht vergleichbar, die nahezu ausschließlich für die Telekom arbeite.
„Ich habe Bock, mich hier einzubringen – sofern man mir die Chance dazu gibt!“
Abdelhai ist verheiratet und musste in Syrien seine Frau und die 3 Kinder zurück lassen. Er verlor in Aleppo seinen Job nachdem seine Firma ausgebombt wurde. Zudem sei die Infrastruktur in der zweitgrößten Stadt mittlerweile derart zerstört, dass ein Überleben kaum mehr möglich ist. Die meisten Bewohner hätten aber gar nicht das Geld, der Trümmerwüste den Rücken zu kehren. Vor Monaten habe die Flucht insgesamt noch etwa 3.000 Euro gekostet, mittlerweile sei die Flucht nach Europa aber auch schon etwas billiger. Angesprochen auf den Islamischen Staat: „Der IS gibt sein Weltbild nur vor. Tatsächlich habe er nichts mit dem wirklichen Islam zu tun, da der Koran ausdrücklich zur Akzeptanz aller Religionen auffordert. Was die Situation in Syrien neben dem IS aber zusätzlich erschwert, ist die unsägliche Korruption der Assad-Regierung und ihrer Vertreter. Diese Gemengelage ist die Erklärung für den fortschreitenden Exodus meiner Heimat“, so Abdelhai, um zu ergänzen: „Gäbe es Frieden in Syrien, würden sie meine Landsleute hier in Deutschland höchstwahrscheinlich nicht antreffen.“
Seinen Fluchtweg teilte der gelernte Tischler mit Tausenden – erst in die Türkei, dann nach Griechenland. Beim ersten Versuch sei sein Boot im Mittelmeer gekentert. Es grenze an ein Wunder, dass angesichts der drei Stunden, die man bis zur Rettung im Wasser verbrachte, alle überlebten. Erst im zweiten Anlauf glückte die Überfahrt auf die griechische Insel Kos. An der mazedonischen Grenze sei ihr Treck mit Tränengas beschossen worden. Doch irgendwie habe man es doch bis Serbien und Ungarn geschafft. Damals ging das noch. Dass sein Landsmann aus Istanbul flüchtete hat einen anderen Hintergrund: „Es war auf Dauer unmöglich, seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen und gleichzeitig zu studieren. Ich musste nachts 14 Stunden arbeiten, um von dort direkt zur Uni zu gehen. Mit 2-3 Stunden Schlaf täglich war das auf Dauer schlicht nicht auszuhalten. Da gleichzeitig das Leben meiner Familie in Syrien massiv bedroht war, konnte ich auch dorthin keinesfalls zurück. Die Aussicht, sie ebenfalls in die Türkei zu holen, war gleich Null.“ Dakkak spricht englisch, arabisch, türkisch und lernt ebenfalls gerade deutsch. Er könnte sich vorstellen, zunächst ehrenamtlich für das DRK oder eine andere gemeinnützige Organisation als Übersetzer zu arbeiten. Händeringend sucht er nach einer solchen Option. Längerfristig sieht er seinen Platz in der IT-Branche.
Auch Abdelhai hat den festen Willen, sich in Deutschland so schnell wie möglich nützlich zu machen, um irgendwann einmal seine Familie nachholen zu können: „Wir sind keinesfalls hier her gekommen, um das deutsche Sozialsystem auszunutzen oder in Brück bloß auf der faulen Haut zu liegen. Ich habe einfach Bock, mich hier einzubringen – sofern man mir die Chance dazu gibt.“ Mittel- und langfristig könnten sich beide Syrer vorstellen, wieder in ihre Heimat zurück zu gehen. Nur sprenge es momentan ihre Vorstellungskraft, dass sich das vom Bürgerkrieg schwerst gezeichnete Land, mittelfristig befrieden lasse.
„Brück hilft“ beabsichtigt, die weitere Entwicklung des Geschehens um die beiden Syrer zu verfolgen, um gegebenenfalls erneut darüber zu berichten.